Lässt man einmal die Regelungen zur erlaubten Blutrache im Telipinu Erlass außer acht, so gibt es noch immer eine Reihe von Vergehen, welche mit der Todesstrafe geahndet werden konnten. In erster Linie handelte es sich dabei um Vergehen gegen den Großkönig, gegen die Götter oder Delikte, welche dem Sexualrecht zugeordnet werden können.
Diese Fälle wurden ausschließlich vor dem Königsgericht verhandelt, wobei es letztlich im Ermessen des Königs lag, ob die Todesstrafe auch vollzogen wurde oder dem Verurteilten stattdessen anderweitige Sanktionen auferlegt wurden.
Von Ḫattušili III. wissen wir zum Beispiel, dass für ihn die Verbannung anstelle der Todessafe offenbar das bevorzugte Mittel der Wahl war.
Unter vergehen gegen den Großkönig fiel alles was die Person des Großkönigs gefährdete, seine Autorität in Frage stellte oder kultische hätte verunreinigen können. Von Ḫattušili I. wissen wir, dass er das Verbot erließ, den Namen seiner Gattin auszusprechen, nachdem er diese vom Hofe verbannt hatte. Der entsprechende Erlass verfügt, dass demjenigen, der dagegen verstößt, der Hals aufgeschnitten werden soll und man den Leichnam im Tor aufhängen wird.
Ebenso mit dem Tode wird derjenige bedroht, welcher die Entscheidungen des königlichen Gerichts missachtet:
„§ 173 (58*) Wenn jemand die (Entscheidung in der) Rechtssache durch den König bestreitet, wird sein Haus ein Trümmerhaufen. [W]enn jemand die (Entscheidung einer) Rechtssache durch einen Würdenträger bestreitet, schneiden sie ihm den Kopf ab. Wenn ein Unfreier seinem Herrn (zu nahe) herankommt, geht er in den Topf.“ (Richard Haase, 1984, S. 43.)
Der letzte Satz mit der Formulierung „geht er in den Topf“ ist der einzige Hinweis, dass die Hethiter vielleicht auch eine Art Gefängnisstrafe gekannt haben könnten. Sicherlich muss es wohl als eine Art des Freiheitsentzuges interpretiert werden. Wie genau sich dieses gestaltete, ist allerdings aus der kurzen Passage kaum zu entnehmen und es liegen bisher keine anderen Quellen vor, welche Aufschluss darüber geben könnten.
Als weiteres Vergehen gegen den König ist der Paragraf 126 einzuordnen. In diesem geht es um den Diebstahl eines Bronzenen Speeres vom Tor des königlichen Palastes.
„§ 126 Wenn jemand am Tor des Palastes einen hölzernen Riegel(?) stiehlt, gibt er 6 Sekel Silber. Wenn jemand am Tor des Palastes einen Bronzespeer stiehlt, stirbt er. Wenn jemand eine Spange(?) aus Kupfer(?) stiehlt, gibt er ein halbes Maß Korn. Wenn jemand die Zwirnfäden für ein Kleid stiehlt, gibt er 1 Wollkleid.“ (Haase, 1984, S. 39f.)
Verglichen mit den anderen vier Delikten, welche im selben Paragrafen aufgelistet werden, erscheint die Strafe für den Diebstahl des Speeres sehr unverhältnismäßig. Die Deutung geht deshalb dahin, dass es sich bei dem Bronzespeer wohl um keinen gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand gehandelt haben kann.
Richard Haase verweist in diesem Zusammenhang auf ein Totenritual, in welchem ebenfalls ein Bronzespeer eine wichtige Rolle spielt. Folgt man seiner Argumentation, so handelt es sich bei den besagten Bronzespeeren wohl um sakrale Objekte, was die harte Strafe für den Diebstahl des Speeres erklären würde.
Diese Interpretation ist auch in sofern schlüssig, da die Hethiter bei anderen sakralen Vergehen ebenfalls die Todesstrafe zur Anwendung brachten. So erwartete demjenigen, der das Eigentum der Götter stahl, die Todesstrafe.
Besonders streng sind auch die Vorschriften, welche Magie, Schadzauber und Flüche betreffen.
Beispiele hierfür sind die Paragrafen 44, 170, sowie die beiden Paragrafen 111 und 121, wobei die beiden letzteren nur unvollständig erhalten geblieben sind und sich deswegen keine allzu verlässlichen Aussagen über diese Treffen lassen.
Dabei lässt sich auch wieder eine klare Unterscheidung zwischen Freien und Unfreien feststellen. Der dort geschilderte Fall kann wohl als Analogiezauber gedeutet werden. Es wird eine Schlange getötet und der Name einer anderen Person dabei ausgesprochen, wohl eindeutig mit der Absicht, der entsprechenden Person zu schaden. Wenn es sich um einen Freien handelt, dann muss er eine Mine Silber zahlen, während ein Unfreier für dieses Vergehen hingerichtet wird.
Wohl ebenfalls dem sakralen Recht zugeordnet werden können die Paragrafen 166 und 167:
„§ 166 (51*) Wenn jemand auf (gesäten) Samen (anderen) Samen sät, tritt sein Nacken auf einen Pflug; und(?) ein (oder: 2?) Gespann Rinder spannen sie ein. Des einen Gesicht wenden sie dorthin und des anderen wenden sie dorthin. Der Mensch stirbt, auch die Rinder sterben. Und wer das Feld früher eingesät hat, der nimmt es für sich […] Früher taten sie so, § 167 (52*) und jetzt ziehen sie ein Schaf anstatt des Menschen (heran), 2 Schafe an Stelle der Rinder ziehen sie (heran). 30 Brote (und) 3 Gefäße Dünnbier gibt er und er reinigt (auch) wieder. […]“ (Haase, 1984, S. 42.)
Auf den ersten Blick mag es sich hierbei lediglich um eine Eigentumsverletzung handeln. Dann würde es sich bei den Schafen, den Broten und dem Bier um eine Schadensersatzleistung handeln. Doch stattdessen deutet die Formulierung darauf hin, dass die Schafe getötet werden, was als Opfer zu interpretieren ist, besonders im Zusammenhang mit dem Verb šuppiya-, welches in dem Paragrafen für reinigen genutzt wird.
Die Eigentumsverletzung war demnach wohl nicht das eigentlich schlimme Vergehen im Sinne dieses Paragrafen. Den Hinweis zur Deutung liefert der anschließende Paragraf 168, in dem es um die unbeabsichtigte Verletzung der Grenze eines Feldes geht. In diesem Fall wird deutlich, dass die Grenzverletzung eine Beleidigung des Sonnen- und Wettergottes darstellt, welcher durch Opfer und Gebete wieder ausgesöhnt werden muss. Es ist anzunehmen, dass es sich bei den Paragrafen 166 und 167 ähnlich verhält und die Schafe als Opfergabe nötig sind, um einen erzürnten Gott zu besänftigen.
Der dritte große Bereich, in welchem die Todesstrafe noch immer eine Rolle spielte, war das Sexualstrafrecht. Darunter fielen zunächst Fälle von Sodomie und Inzest, welche vor dem Königsgericht mit dem Tod bestraft werden konnten:
„§ 187 (73*) Wenn (sich) ein Mann mit einem Rinde (ver)sündigt, (ist es etwas) Ungeheuerliches (und) er stirbt. Zu des Königs Tores bringen sie ihn: Der König aber tötet ihn entweder [oder der Köni]g erhält [ihn] am Leben; vor den König tritt er (dann) aber nicht (mehr).“ (Haase, 1984, S. 45.)
Ähnliche Paragrafen gibt es auch für Sodomie im Zusammenhang mit Schafen, Hunden und Schweinen. Paradoxerweise scheint der Verkehr mit Pferden und Mauleseln „kein Ärgernis“ erregt zu haben. In diesem Falle wird nicht mit dem Tode gedroht. Als unrein gilt er dennoch, denn es folgt das Verbot, sich dem König zu nähern oder Priester zu werden.
Welche Arten von sexuellen Beziehungen die Hethiter für illegitim erachteten, geht aus den Paragrafen 189 bis 191 und 195 hervor.
Verboten waren natürlich zunächst der Geschlechtsverkehr mit der eigenen Mutter oder Tochter. Ebenso verboten war eine Beziehung zwischen Bruder und Schwester. Dies geht zwar nicht aus den Gesetzestafeln hervor, ist aber durch den Hukkana Vertrag eindeutig belegt. Darüber hinaus verboten war auch der Geschlechtsverkehr zwischen Verschwägerten ersten Grades in gerader Linie. In Seitenlinien war es nur verboten, solange die entsprechende Ehe, welcher der Schwägerschaft zugrunde lag, noch Bestand hatte.
In wie fern diese Vergehen mit dem Tode bestraft wurden ist allerdings unklar, denn in den Paragrafen werden keine Sanktionen genannt. Stattdessen findet sich lediglich die Formulierung „ist es etwas Ungeheuerliches“, wie wir sie auch bereits von den Sodomie Paragrafen kennen. Dem Erklärungsversuch von Richard Haase folgend wäre es möglich, das den Zeitgenossen die Sanktion für ein solches Vergehen so selbstverständlich war, dass sie nicht explizit im Gesetzestext genannt werden musste. Dies würde auch in der Reihenfolge der Paragrafen Sinn ergeben, denn zwei der Sodomie Paragrafen stehen direkt vor den Inzest Paragrafen. Gesicherte Beweise, welche diese These stützen, gibt es allerdings nicht.
Neben Sodomie und Inzest behandelt das Hethitische Sexualstrafrecht auch Ehebruch, Vergewaltigung und Raubehe, wo ebenfalls die Todesstrafe zur Anwendung kommen konnte.
Die Grenzen zwischen Vergewaltigung und Ehebruch im Hethitischen Recht sind ein wenig verschwommen. In Paragraf 197 heißt es:
„§ 197 (83*) Wenn ein Mann eine Frau im Gebirge ergreift, (ist es) des Mannes Sünde und er stirbt. Wenn er (sie) aber im Hause ergreift, (ist es) der Frau Sünde; die Frau stirbt. Wenn sie der Mann findet und sie tötet, (ist auf Grund) sein(es) (Verhaltens) Anstoß nicht vorhanden.“ (Haase, 1984, S. 46.)
Dem liegt wahrscheinlich die Annahme zu Grunde, das in einem unbewohnten Gebiet niemand der Frau zur Hilfe kommen kann. Dies war anders, wenn sich die Vergewaltigung in ihrem Haus ereignete, wo Nachbarn es hören würden, sofern sie sich wehrt oder um Hilfe ruft. Wehrt sie sich nicht, wird in diesem Fall offenbar von ihrem Einverständnis ausgegangen und entsprechend als Ehebruch gewertet. Der letzte Satz des Paragrafen bezieht sich dann auf den betrogenen Ehemann, welchem man offenbar das Recht zugesteht, im Zorn die untreue Gattin und den Buhlen zu erschlagen.
Weiter geht es im Paragraf 198 für den Fall, dass der gehörnte Ehemann sie nicht erschlägt und sie stattdessen vor das Königsgericht bringt. In diesem Fall kann er die Hinrichtung der Beiden fordern. Jedoch wird betont, dass dann beide sterben müssen. Er hat zum Beispiel nicht das Recht, nur den Tod der untreuen Gattin zu fordern. Letztlich obliegt es dann aber auch hier wieder dem König, ob er dieser Forderung stattgibt oder Gattin und Buhle begnadigt.
Ähnlich wie bei dem Fall des Gatten, welcher seine Frau auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt, räumt das Hethitische Recht auch im Falle einer Entführung das Recht zur Selbsthilfe und damit der erlaubten Tötung ein. Nehmen die Angehörigen einer entführten Frau selbst die Verfolgung der Entführer auf und erschlagen bei dem Befreiungsversuch den Entführer oder dessen Helfer, so muss für die getöteten Entführer kein Ersatz geleistet werden.
Mit dem Hethitischen Eherecht, will ich mich jedoch in einem separaten Artikel, näher auseinander setzen.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass die noch vorhandenen Todesstrafen wohl schwerpunktmäßig im sakralen Bereich verankert waren. Auch Vergehen gegen den Großkönig können im Grunde dem sakralen Bereich zugeordnet werden, da dieser die oberste weltliche und kultische Macht im Reich auf sich vereinte.
Das Sexualstrafrecht mag zwar zu einem gewissen Teil im profanen Bereich verhaftet gewesen sein, doch würde ich diesem eine gewisse sakrale Komponente dennoch nicht absprechen wollen. Gerade bei den Paragrafen, welche sich mit Fällen von Sodomie beschäftigen, wird deutlich auf die kultische Unreinheit der Straftäter hingewiesen, wodurch wir hier wieder eine gewisse sakrale Komponente annehmen können.
Quelle:
Haase, Richard: Texte zum hethitischen Recht. Eine Auswahl, Wiesbaden 1984.