Die Frauen der Hethiter – Ein ungewöhnliches Maß an Gleichberechtigung

In der Hethitischen Gesellschaft herrschte offenbar ein für die damalige Zeit hohes Maß an Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Anders als in anderen antiken Kulturen, wie zum Beispiel die der Römer, Griechen oder Ägyptern, waren die hethitischen Frauen keine bloßen Besitzobjekte ihrer Ehemänner. Dabei erstreckte sich diese Gleichberechtigung nicht nur auf die herrschende Oberschicht, sondern darf für alle freien Frauen und zum Teil auch für die unfreien Frauen angenommen werden. Hethitische Frauen waren zum Beispiel voll geschäftsfähig und konnten eigenen Grundbesitz haben.
Die Hethitischen Gesetze geben an verschiedenen Stellen Aufschluss über die rechtliche Stellung der Frau. So wurde Männern und Frauen in Fällen von Mord oder Körperverletzung derselbe Wert beigemessen. Die Unterscheidung erfolgt stets nur zwischen frei und unfrei. Innerhalb dieser beiden gesellschaftlichen Gruppen wird nicht nach Geschlechtern getrennt.

Den besten Einblick in den gesellschaftlichen und sozialen Status der Frau erhält man aber, wenn man sich das Hethitische Eherecht näher ansieht, welches in den Gesetzestexten in zahlreichen Paragrafen genau geregelt wird. Diese lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Die erste betrifft die Eheschließung, die andere die Scheidung. Diese geben darüber hinaus aber auch noch Aufschluss über Familienrecht, Vermögensrechte und Personenstand der Frauen in der Hethitischen Gesellschaft.

Der Eheschließung ging auch bei den Hethitern bereits eine Verlobung voraus. Über genaue Details der Verlobung bei den Hethitern wissen wir kaum etwas und die Gesetzesparagrafen behandeln nur einen Sonderfall, nämlich die Auflösung der Verlobung. Die Paragrafen regeln, unter welchen Umständen und in welchem Umfang Brautpreis beziehungsweise Mitgift erstattet werden müssen.
Als interessant anzumerken ist aber, dass die Frau ebenso wie der Mann einseitig dazu berechtigt waren, die Verlobung aufzulösen.
Das heißt natürlich nicht, dass die Eltern der Frau nicht ein erhebliches Mitspracherecht besaßen, was die Verheiratung ihrer Tochter betraf, denn im Grundsatz war die hethitische Familie patriarchal organisiert. Dennoch dürfen wir einen erheblichen Einfluss der Ehefrau auf familienrechtliche Entscheidungen annehmen. So steht zum Beispiel in Paragraf 28 und 29, welche die Auflösung der Verlobung thematisieren, stets die Formulierung „attaš annaš“, was „Vater und Mutter“ bedeutet.

Der rechtliche Status, also frei oder unfrei, scheint für die Eheschließung keine Rolle gespielt zu haben. Die Hethitischen Gesetze erwecken den Anschein, das Mischehen, also zwischen Freien und Unfreien, keineswegs eine Seltenheit gewesen sind. Der Status einer Frau richtete sich vermutlich nach dem Status ihres Vaters, wurde durch eine Eheschließung in der Regel aber nicht verändert. Eine freie Frau, die einen unfreien Mann heiratete, blieb auch weiterhin eine Freie.
Paragraf 192 unterstreicht noch einmal die Vermögensrechte der hethitischen Frauen. Diese waren nämlich erbberechtigt, und das auch noch vor ihren eigenen Söhnen. Starb ihr Gatte, fiel das gemeinsame Vermögen der Eheleute und der Privatbesitz ihres Ehemanns zunächst vollständig ihr zu. Außerdem darf angenommen werden, dass die Ehefrau auch innerhalb der Ehe über eigenes Vermögen verfügen konnte, über das ihr Gatte rechtlich keine Verfügungsgewalt besaß.

Ebenfalls besaß eine Mutter das Recht, ihre Söhne zu verstoßen. Wahrscheinlich galt dies in erster Linie wohl im Falle der Abwesenheit des Mannes, zum Beispiel während eines Feldzuges. Gleiches darf auch für verwitwete Frauen angenommen werden, welche dann auch die väterliche Gewalt ausüben mussten.
Die Auflösung einer Ehe wird in den Hethitischen Gesetzen recht ausführlich behandelt und genau geregelt. Die ersten Paragrafen zum Scheidungsrecht sind stark beschädigt. Dennoch geht aus ihnen hervor, dass sowohl der Mann als auch die Frau berechtigt waren, eine Scheidung zu veranlassen. Der Grund der Scheidung scheint dafür keine Rolle gespielt zu haben.

Folgende vollständig erhaltene Paragrafen beziehen sich zwar auf eine Mischehe, doch darf angenommen werden, dass vergleichbare Bestimmungen für alle Ehen galten:

§ 31 Wenn ein freier Mann und eine Unfreie (einander) zugetan(?) (sind) und sich einig werden und er sie zu seiner Frau nimmt und sie sich ein(en) Haus(stand) und Kinder schaffen und (wenn) sie nachher entweder streiten oder sie sich (friedlich) trennen, (dann) teilen sie sich das Haus gemeinsam; (dabei) nimmt der Mann die Kinder, ein(es) der Kind(er) nimmt die Frau.
§ 32 Wen sich ein Unfreier eine (freie) Frau zur Gattin nimmt, (ist) ihre Rechtslage ebenso.
§ „32a“ Wenn ein Unfreier eine (freie) Frau [nimmt und] sie [sich Kinder erzeugen] – wenn sie (dann) ihr Haus und ihr Gut [jeder für sich] auflösen, nimmt die mei[sten Kinder die Frau] und ein(es) (der) Kind(er) nimmt [der Unfreie].“ (Richard Haase, 1984, S. 26.)

Es wird also nicht nach dem Grund der Scheidung gefragt. Stattdessen wird der gemeinsame Besitz aufgeteilt und das persönliche Habe verbleibt ohnehin bei dem jeweiligen Eigentümer.

Bei der Aufteilung der Kinder wird es ein wenig komplizierter. Dem Paragrafen 26a ist zu entnehmen, dass bei einer Ehe zwischen zwei Freien der Besitz zwar geteilt wird, die Kinder aber alle an den Mann gehen. In der Mischehe wird jeweils der oder die Freie bevorzugt. In diesem Fall könnte man damit argumentieren, dass der potentiell wirtschaftlich potentere Partner sich um den Großteil der Kinder kümmern soll.
Dem entgegen steht jedoch die Tatsache, dass im Falle einer Ehe unter Unfreien, wie sie in Paragraf 33 geregelt ist, der Mann nur eines der Kinder und die Frau den Rest erhält.
Außerdem besteht Uneinigkeit darüber, ob wir bei dem Teilen des Hausstandes eine hälftige Aufteilung des gemeinsamen Vermögens annehmen dürfen. Das im Gesetzestext verwendete „takšan“ ist diesbezüglich nicht eindeutig zu interpretieren. Es wäre auch denkbar, dass sich die Aufteilung des Vermögens nach der Zahl der Kinder richtete, die das jeweilige Elternteil versorgen musste. Der Partner, dem mehr der gemeinsamen Kinder zugesprochen wurde, hätte also auch einen größeren Teil des gemeinsamen Vermögens erhalten.

Quelle:
Haase, Richard: Texte zum hethitischen Recht. Eine Auswahl, Wiesbaden 1984.

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