Der Telipinu Erlass, Teil 1: Historischer Kontext

Der Telipinu Erlass ist auf verschiedenen Ebenen ein bemerkenswertes Dokument. In ihm wird die Thronfolge neu geregelt, das im Niedergang begriffene Reich neu organisiert und eine Rechtsreform durchgeführt. Die Bedeutung des Telipinu Erlasses für die Hethitischen Gesetze habe ich bereits in einem vorherigen Artikel umrissen und werde diese an dieser Stelle deshalb aussparen.
Für die Hethiter war der Erlass selbst von offenkundiger Bedeutsamkeit. Selbst Jahrhunderte nach Telipinus Tod wurde dieser noch vervielfältigt. Ohne diese Abschriften aus dem Neuen Reich, wäre uns dieses bemerkenswerte Dokument, überhaupt nicht in solchem Umfang bekannt.

Um den Telipinu Erlass besser verstehen zu können ist es wichtig, sich den historischen Kontext anzusehen, in welchem dieser entstand. Zumal es dem Verfasser selbst wichtig war auf diesen Hinzuweisen. Die Paragrafen eins bis siebenundzwanzig des Erlasses skizzieren ausschließlich die Geschichte des Alten Reiches bis zum Zeitpunkt, an welchem Telipinu seinen Erlass verfasste.
Dabei handelt es sich natürlich nicht um eine konkrete Ereignisgeschichte. Die Intention, welche sich wie ein roter Faden durch Telipinus Bericht zieht, ist klar. Die Einleitung des Erlasses soll eine Mahnung an die künftigen Generationen der Königsfamilie sein, Uneinigkeit und Zwietracht zu vermeiden.

Telipinu beginnt mit Labarna, dessen Name später zum festen Bestandteil der Herrschaftstitulatur werden sollte.

(Frü)her war Labarna Großkönig. Da waren seine Söhne, seine Brüder, seine angeheirateten Verwandten, die Männer seiner Sippe und seine Truppen vereinigt.
Das Land war wenig. Wohin er aber ins Feld zog hielt er das Land des Feindes mit starkem Arm besiegt.
Die Länder vernichtete er (immer wieder) und er entmachtete die Länder. Er machte sie zu Grenzen des Meeres. Sobald er aber vom Feldzug zurückkam ging jeder seiner Söhne (irgend)wohin in ein Land. […]
(Da) verwalteten sie (dauernd) das Land. Den großen Städten ging es wohl.“ (Hoffmann, 1984, S. 13-15.)

In dieser Art berichtet Telipinu nicht nur über Labarna, sondern auch über dessen Nachfolger Ḫattušili und Muršili. Wie bereits bei Labarna betont er hier zunächst jedes Mal deutlich die Einigkeit der königlichen Sippe und führt im Anschluss die militärischen Erfolge der beiden Könige an. Die Probleme, welche Ḫattušili mit Verrat und Rebellion innerhalb der eigenen Familie hatte, erwähnt Telipinu dabei nur als Randnotiz.
Auf seinem Sterbebett setzte Ḫattušili seinen minderjährigen Enkel Muršili als Erben ein. Bis zu dessen Volljährigkeit sollte der Panku die Regierungsgeschäfte übernehmen.
Erneut betont Telipinu die Einigkeit der königlichen Sippe und wie Muršili an die militärischen Erfolge seines Großvaters anknüpfen konnte. Auf dem Höhepunkt seiner Herrschaft, plündert Muršili das Prestigeträchtige Babylon und besiegelte damit das Ende der ersten Babylonischen Dynastie.
Reich mit Beute beladen kehrte Muršili nach Ḫattuša zurück. Doch hatte das Alte Reich mit diesem Triumph seinen Zenit bereits überschritten. Unmittelbar nach seiner Rückkehr wurde Muršili von seinem Schwager Ḫantili und dessen Komplizen Zidanta ermordet. Für Telipinu markiert diese Bluttat offensichtlich den Niedergang des Reiches. Und sicherlich hat er damit nicht Unrecht.
Es gibt viele Hinweise, auf erbitterte Machtkämpfe innerhalb der königlichen Familie, welche das Reich destabilisierten. Viele der Eroberungen Ḫattušilis und Muršilis gingen in dieser Zeit wieder verloren.
Telipinu sieht darin ein deutliches Zeichen dafür, dass die Götter die Bluttat des Ḫantili nicht gutheißen. Als Ḫantili schließlich auf dem Sterbebett lag, wurde seine Familie von seinem ehemaligen Mitverschwörer Zidanta ermordet, welcher infolge dessen selbst den Thron bestieg.
Doch lange kann sich Zidanta nicht der Macht erfreuen. Nach kurzer Regentschaft wurde er von seinem eigenen Sohn Ammuna ermordet.
Unter Ammunas Herrschaft setzte sich der Niedergang fort und das Reich schrumpfte auf sein ursprüngliches Kerngebiet zusammen. Dennoch konnte sich Ammuna an der Macht halten und er starb letztlich eines natürlichen Todes. Dafür wurde jedoch nach seinem Tod die Thronfolge durch die Ermordung zweier seiner Söhne ein wenig korrigiert, sodass schließlich sein Sohn Ḫuzzija den Thron bestieg.
Scheinbar fürchtete Ḫuzzija, selbst zum Opfer eines Mordkomplottes zu werden und wollte vorsichtshalber einen möglichen Konkurrenten, seinen Schwager Telipinu, aus dem Weg räumen. Doch Telipinu erfuhr von dem Komplott und kam Ḫuzzija zuvor. Anstatt Ḫuzzija jedoch zu ermorden, setzte Telipinu diesen lediglich ab und schickte ihn in die Verbannung.
Allerdings Ḫuzzija wurde im Exil ermordet. Telipinu behauptet in seinem Erlass, davon nichts gewusst zu haben, dennoch begnadigte er die Mörder des Ḫuzzija, welche der Panku zuvor zum Tode verurteilt hatte. Und dann werden Telipinus Frau und sein Sohn ebenfalls ermordet. Diese beiden Morde werden für Telipinu zum Anlass, die Thronfolge neu zu organisieren und Regelungen zu schaffen, welche in Zukunft das Morden innerhalb der königlichen Sippe unterbinden sollten. Wie ernst es ihm dabei ist, das Morden innerhalb der Königsfamilie zu beenden, zeigt auch der Umstand, dass er selbst das Leben derjenigen schonte, die seine Frau und seinen Sohn ermordet hatten. Es ist davon auszugehen, dass die Mörder ebenfalls zur königlichen Sippe gehört haben. Statt sie mit dem Tode zu bestrafen, verbannte er die Mörder und verzichtete damit auf sein Recht der Blutrache.
Dieser vergebende Charakterzug Telipinus, welcher sich dabei zeigt, mag vielleicht auch seine Rechtsreform und die Abschaffung der Todesstrafe erklären.

Quelle:

Hoffmann, Inge: Der Erlaß Telipinus, Heidelberg 1984.

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