Karkemiš: Aufstieg und Fall eines hethitischen Nachfolgestaats

Karkemiš, eine antike Stadt am oberen Euphrat, war nicht nur ein strategischer Knotenpunkt, sondern auch ein bedeutender Nachfolgestaat des hethitischen Großreichs. Nach dem Zusammenbruch des hethitischen Kernlands um 1180 v. Chr. stieg Karkemiš zu einem eigenständigen Machtzentrum auf, das hethitische Traditionen bewahrte und die Region Syrien über Jahrhunderte prägte. Dieser Blogbeitrag beleuchtet den geschichtlichen Ablauf von Karkemiš als Nachfolgestaat, von seiner Entstehung bis zu seinem Niedergang.

Die Wurzeln: Karkemiš im hethitischen Großreich

Die Geschichte von Karkemiš als Nachfolgestaat ist eng mit dem hethitischen Großreich verknüpft. Bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. war die Stadt, strategisch an einer Furt des Euphrat gelegen (heute nahe der türkisch-syrischen Grenze), bei wekchem es sich um ein bedeutendenes Handelszentrum handelte. Im 15. Jahrhundert v. Chr. fiel Karkemiš unter die Kontrolle des Mittani-Reichs, bevor der hethitische König Šuppiluliuma I. (ca. 1350–1322 v. Chr.) die Stadt eroberte.

Šuppiluliuma I. machte Karkemiš zu einem zentralen Verwaltungssitz für die hethitischen Gebiete in Syrien. Er setzte seinen Sohn Piyaššili (Thronname: Scharri-Kuschuh) als Vizekönig ein, wodurch eine Sekundogenitur-Dynastie entstand. Diese Dynastie regierte Syrien über fünf Generationen und festigte die hethitische Präsenz in der Region. Karkemiš wurde somit zu einem politischen und kulturellen Bollwerk, das die hethitische Herrschaft im Süden sicherte.

Unabhängigkeit nach dem Fall von Ḫattuša

Um 1180 v. Chr. brach das hethitische Großreich unter dem Druck der Seevölker und innerer Konflikte zusammen. Während das Kernland um Ḫattuša (heutiges Zentraltürkei) in Bedeutungslosigkeit versank, überlebte Karkemiš als unabhängiger Nachfolgestaat. Die Dynastie, die auf Šuppiluliuma I. zurückging, setzte ihre Herrschaft fort. Ein Schlüsselmoment war die Regentschaft von Kuzi-Tešub, einem Ururenkel Šuppiluliumas I., der als erster Herrscher von Karkemiš den Titel „Großkönig“ annahm – ein Titel, der zuvor den Königen von Ḫattuša vorbehalten war.

Kuzi-Tešub etablierte Karkemiš als das neue „Ḫatti“ in assyrischen Quellen, was die regionale Vormachtstellung der Stadt unterstreicht. Die Stadt bewahrte hethitische Traditionen, wie die luwische Hieroglyphenschrift und den Kult der Göttin Kubaba, und wurde zum kulturellen und politischen Zentrum der sogenannten „späthethitischen“ oder „neo-hethitischen“ Staaten.

Blütezeit und Herausforderungen (12.–9. Jahrhundert v. Chr.)

In den folgenden Jahrhunderten festigte Karkemiš seine Position. Unter Ini-Teššub II. (um 1100 v. Chr.) sah sich die Stadt ersten assyrischen Angriffen ausgesetzt, etwa durch Tiglat-pileser I. Trotz dieser Bedrohung behauptete Karkemiš seine Unabhängigkeit. Im 10. Jahrhundert v. Chr. gelang es König Ura-Tarhunza, einen weiteren assyrischen Angriff abzuwehren. Seine Dynastie wurde jedoch von Suhi I. verdrängt, dessen Nachkommen den Titel „Landesherr“ anstelle von „Großkönig“ führten, was auf eine veränderte politische Struktur hinweist.

Im 9. Jahrhundert v. Chr. erlebte Karkemiš unter König Katuwa eine kulturelle und militärische Hochphase. Katuwa baute Tempel für den Wettergott Tarhunza und die Göttin Kubaba und führte erfolgreiche Feldzüge, etwa gegen das Land Kawa in Syrien. Doch die assyrische Bedrohung wuchs. König Sangara (ca. 870 v. Chr.) musste hohen Tribut an Assurnasirpal II. zahlen und schloss sich einer Koalition syrischer Kleinstaaten gegen Salmanassar III. an. Diese Konflikte zeigten, dass Karkemiš zunehmend in die Defensive geriet.

Niedergang und assyrische Eroberung (8. Jahrhundert v. Chr.)

Im 8. Jahrhundert v. Chr. schwand die Macht von Karkemiš. Die assyrische Expansion unter König Sargon II. führte 717 v. Chr. zur Eroberung der Stadt, die in die neuassyrische Provinz eingegliedert wurde. Karkemiš verlor seine politische Eigenständigkeit, blieb jedoch ein regionales Zentrum.

Ein letzter bedeutender Moment in der Geschichte von Karkemiš war die Schlacht von 605 v. Chr., in der die Babylonier unter Nebukadnezar II. die Ägypter unter Necho II. und ihre assyrischen Verbündeten besiegten. Diese Schlacht, die in biblischen Quellen erwähnt wird, markierte das Ende der ägyptischen Vorherrschaft in der Levante und unterstrich den Wandel der regionalen Machtverhältnisse. Karkemiš selbst spielte in dieser Phase jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle.

Archäologische Spuren und Vermächtnis

Die Bedeutung von Karkemiš wurde durch archäologische Ausgrabungen bestätigt, die seit dem 19. Jahrhundert durchgeführt wurden. George Smith lokalisierte die Stadt 1876, und Ausgrabungen unter der Leitung des Britischen Museums (1911–1914, 1920) förderten Reliefs, Statuen und luwische Inschriften zutage. Besonders die Basaltstele der Göttin Kubaba, errichtet von König Kamani um 790 v. Chr., lieferte wertvolle historische Einblicke. Heute ist Karkemiš ein ausgedehntes Ruinenfeld, teilweise eingeschränkt durch eine türkische Militärbasis auf der Akropolis.

Fazit

Karkemiš war weit mehr als ein Überbleibsel des hethitischen Großreichs – es war ein dynamischer Nachfolgestaat, der die hethitische Kultur in einer Zeit des Umbruchs bewahrte und Syrien politisch prägte. Von der Unabhängigkeit unter Kuzi-Tešub über die Blütezeit unter Katuwa bis hin zum Niedergang unter assyrischem Druck spiegelt die Geschichte von Karkemiš die Herausforderungen und Widerstandsfähigkeit einer Region im Wandel wider. Die luwischen Inschriften und archäologischen Funde halten die Erinnerung an diese einst mächtige Stadt lebendig, die am Ufer des Euphrat eine Brücke zwischen der Bronze- und Eisenzeit schlug.

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